Die Zuneigung der Großeltern für ihre Enkelkinder ist in der Regel nicht nur groß, sondern in manchen Fällen tatsächlich beträchtlicher als für ihre eigenen Kinder. Fälle, in denen die eigenen Kinder enterbt werden und in dem Testament allein die Enkelkinder bedacht werden, sind nicht ungewöhnlich. Ob die wechselseitige Zuneigung der Enkelkinder für ihre Großeltern allerdings im Testament erzwungen werden kann, musste vom Oberlandesgericht Frankfurt entschieden werden (vgl. Beschl. v. 15.12.2021, Az. 21 W 170/21):
Grund für das Gerichtsverfahren war folgendes Testament:
„Sollte ich C vor meiner Frau versterben, bekommen meine Frau 25 % meines gesamten Geldvermögens und kümmert sich um Bestattung und Pflege der Grabstätte. Die Kosten hierfür werden von dem vorhandenen Geld verwendet. 25 % des verbleibenden Geldvermögens bekommt mein Sohn D.
Die restlichen 50 % des dann noch vorhandenen Geldes, bekommen, zu gleichen Teilen meine Enkel F u. E, aber nur dann, wenn sie mich regelmäßig d.h. mindestens 6-mal im Jahr besuchen.
Wenn das der Fall ist, muss das Nachlassgericht bis zu ihrem 21. Lebensjahr das Geld auf einem Sperrkonto verwahren. Sollte das nicht der Fall sein d.h. mich keiner besuchen, werden die restlichen 50 % des Geldes zwischen meiner Frau und meinem Sohn D aufgeteilt.
Mein Sohn B seine Frau H dürfen über den Erbnachlass nicht verfügen, und auch nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht zu meiner Beerdigung kommen…“
Nach dem Tod des Erblassers erteilte das Nachlassgericht auf Antrag der Beteiligten zu 1 -die im Testament genannte letzte Ehefrau des Erblassers- einen Erbschein, in dem sie zusammen mit dem Beteiligten zu 2 -dem Sohn D aus früherer Ehe des Erblassers- als Miterben zu je ½ ausgewiesen wurden. Die letztliche Enterbung der Enkelkinder, wie von der Beteiligten zu 1 behauptet und vom Nachlassgericht bestätigt, basierte auf deren Nichterfüllung der im Testament festgelegten Besuchsbedingung. Fundiert wurde diese Entscheidung darauf, dass der Erblasser seinen Willen eindeutig dahingehend bedingt hatte, dass seine Enkelkinder nur dann zu Erben werden sollten, soweit sie ihn mindestens sechsmal jährlich besuchen kommen. Das Nachlassgericht führte weiter aus, dass die Tatsachen, dass das Kalenderjahr zum Todeszeitpunkt des Erblassers nicht beendet war, noch dass kein Jahr zwischen dem Tod und der Testamentserrichtung gelegen hat, irrelevant sind. Eine Testamentsauslegung nach dem Willen des Erblassers würde nämlich ergeben, dass es sich bei den zur Bedingung gemachten Besuchen um solche in regelmäßigen Abständen handeln sollte, d.h. ungefähr alle zwei Monate, um den Kontakt zwischen dem Erblasser und seinen Enkelkindern aufrechtzuerhalten. Somit entspräche es daher auch nicht dem Willen des Erblassers, dass die Enkelkinder ihn an sechs aufeinander folgenden Tagen besuchen sollten, oder dass der sporadische Besuch zu Weihnachten ausreichend wäre. Eine regelmäßige Besuchspflicht der Enkelkinder würde ferner unter ein legitimes Interesse des Erblassers bzw. des Großvaters fallen.
Entgegen der Auffassung der Enkelkinder sah das Nachlassgericht auch keinen Widerspruch in der im Testament gewählten Formulierung „regelmäßige besuchen“ und „keiner besuchen“. Letzteres würde vielmehr an die vorhergehende Bedingung der regelmäßigen, d.h. mindestens sechsmal jährlichen Besuchen anknüpfen. Zuletzt würde eine ergänzende Testamentsauslegung hinsichtlich der Heranziehung von außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Umständen, insbesondere eine E-Mail des Erblassers, in dem er sich für sein Verhalten bei einem Besuch bei seinem Sohn B -Vater der beiden Enkelkinder- entschuldigt und das offenbar der Anlass für die vorgenommene testamentarische Regelung gewesen sei, auch zu keinem anderen Ergebnis führen. Das Nachlassgericht erklärt diesbezüglich, dass jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Erblasser im Hinblick auf das schwierige und wechselhafte Verhältnis zu seinem Sohn und dessen Ehefrau, die letztwillige Verfügung bewußt aufrechterhalten habe und trotz der Annäherung und nachträglichen Entschuldigung diese nicht geändert habe.
Über das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Nachlassgerichtes, die Beschwerde, hatte das Oberlandesgericht in Frankfurt zu befinden: Es hat der Senat zwar die Auffassung des Nachlassgerichts hinsichtlich der Testamentsauslegung weitgehend geteilt, die auferlegte Besuchspflicht allerdings als sittenwidrig und damit nichtig gem. §§ 134, 138 BGB erklärt. Die Richter des Oberlandesgerichts stimmten der Ansicht des Nachlassgerichtes zu, dass der Erblasser mit der in dem Testament eingefügten Besuchspflicht eine eindeutige und klare aufschiebende Bedingung für den Eintritt der Erbfolge seiner Enkelkinder aufstellen wollte. Unstrittig ist auch dass es hierbei um regelmäßige, über das Jahr verteilte Besuche bei dem Erblasser handeln sollte. Wobei zudem angemerkt werden muss, dass diese Besuche bei dem Erblasser Zuhause stattfinden sollten und somit andere Treffen nicht als ausreichend angesehen werden sollten.
Eine ergänzende Testamentsauslegung unter Berücksichtigung des von den Beschwerdeführern vorgelegten E-Mail-Verkehrs zwischen dem Erblasser und seinem Sohn B müsste ebenfalls zurückgewiesen werden da allein auf den Willen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung abzustellen sei. Danach eingetretene Umstände können daher nur dann Bedeutung erlangen, soweit sie Rückschlüsse auf dem maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung zulassen. Trotz vorgelegter E-Mail in dem der Erblasser seinem Sohn B erklärt dass „Auch was ich schrieb war völliger Quatsch auch das Testament kommt so nicht zum Tragen“ verneint das Gericht allerdings eine nachträgliche Willensänderung. Die Zeitspanne zwischen dem Besuch des Erblassers bei seinem Sohn B, der Anlass für die Testamentserrichtung am selbigen Tag war, den darauffolgenden E-Mail-Verkehr mit seinem Sohn und dem Todeszeitpunkt des Erblassers, war lang genug um, falls dies wirklich von dem Erblasser gewünscht worden wäre, sein Testament zu widerrufen und seinen letzten Willen zu modifizieren.
Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts, wurde die aufgestellte aufschiebende Bedingung, die die Erbenstellung der Enkelkinder von der Erfüllung einer ihnen auferlegten Besuchspflicht bei dem Erblasser abhängig macht, von dem Oberlandesgericht hingegen für sittenwidrig und damit nichtig erklärt. Obwohl die Testierfreiheit in unserem Grundgesetz in Art. 14 Abs. 1 S. 1 verankert ist kann dieses Recht in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen beschränkt werden. Nach herrschender Meinung ist die Grenze zu derart schwerwiegenden Ausnahmefällen besonders dann überschritten, wenn die von dem Erblasser erhobene Bedingung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände die Entschließungsfreiheit des bedingten Zuwendungsempfängers unzumutbar unter Druck setzt. Die Umstände müssen insbesondere erkennen lassen, dass der Erblasser durch einen wirtschaftlichen Anreiz in einer gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten „erkaufen“ ersucht. In vorliegendem Fall hat der Erblasser seine Enkelkinder unter Zwischenschaltung deren Eltern durch Inaussichtstellen einer Erbenstellung, die nur bei zwingender Erfüllung der Besuchsbedingungen eintreten würde, und welche wiederum nicht nur von der eigenen, sondern auch von der Mitwirkungsbereitschaft ihrer Eltern abhängen würde, dem Druck ausgesetzt, zur Erlangung eines Vermögensvorteils zwingend die im Testament genannten Besuchsbedingungen zu erfüllen. Eine derartige Einflussnahme des Erblassers auf die Entschließungsfreiheit seiner Enkelkinder ist auch im Hinblick auf die grundsätzliche Freiheit die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten zu können, nicht vereinbar. Zuletzt erklärt das Gericht, dass die Nichtigkeit der Besuchsbedingung nicht jedoch auch verpflichtend zu einer Nichtigkeit der Erbeneinsetzung seiner Enkelinder führt. Nicht nur wird die Erbenstellung der Enkelkinder aufgrund des unzulässigen Eingriffs in ihre Freiheitsrechte und dem daraus resultierenden Schutzzwecks aufrechterhalten, vielmehr könnte die enge Bindung des Erblassers an seine Enkelkinder bei einer Testamentsauslegung zu keinem anderen Ergebnis führen.
Es kann mithin festgehalten werden, dass Liebe zu guter Letzt nicht „erkauft“ werden und ein auf Rechtswirksamkeit geprüftes Testament viel Leid und Zeit ersparen kann.
Fachanwalt für Erbrecht Dr. Markus Artz
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